artpark
Susanne Egle Text
Susanne Egle ließ sich zuerst zur Steinbildhauerin ausbilden, bevor sie an der HBK Kassel und der
Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe Bildhauerei studierte. Schon während Ihres
Studiums erkannte die Künstlerin das ästhetische Potential ihrer unzähligen Fundstücke, die sie in ihrem
jeweiligen sozio-kulturellen Umfeld bis heute entdeckt. Meist handelt es sich hierbei um „Trophäen des
Alltags“, Gegenstände unterschiedlichster Beschaffenheit, die Susanne Egle mit unerschöpflichem
Erfindungsgeist in neue Sinnzusammenhänge transferiert.
Susanne Egle
Behind Things
Galerie der Stadt Tuttlingen 29.07. – 10.09.2017
Dass hinter den Dingen des Alltags – Behind Things – oft genug Merkwürdiges (mehr oder weniger) still verborgen liegt, das wir diesen ach so unscheinbaren und teilweise als völlig nutzlos erachteten Dingen nie im Leben zugetraut hätten, ist eine alt bekannte Tatsache. Schon der berühmt-berüchtigte Philosoph und Schriftsteller Friedrich Theodor Vischer – alias Deutobold Symbolizetti Allegoriowitsch Mystifizinsky
– hatte dazu bereits im Jahr 1878 angemerkt: „Von Tagesanbruch bis in die späte Nacht, solang irgendein Mensch um den Weg ist, denkt das Objekt auf Unarten, auf Tücke ... So lauert alles Objekt, Bleistift, Feder, Tintenfass, Papier, Zigarre, Glas, Lampe – alles, alles auf den Augenblick, wo man nicht Acht gibt.“
Dieses so eigenmächtig Aufständische, dass sich nämlich die nützlichen, vertrauten Dinge des Alltags plötzlich lebendig und zugleich bedrohlich gegen den Menschen erhöben, beflügelt seitdem die Phantasien unzähliger Forscher auf der ganzen Welt und fand seine literarische Vollendung schließlich in dem im Jahr 1973 erschienenen Roman Aufstand der Dinge von Erhart (wohlgemerkt nicht: Erich) Kästner, in der darin forcierten Bemühung des Autoren „mit den Dingen in einen Vertrag zu
gelangen. Dann können die Dinge nicht anders, sie müssen antworten.“
Susanne Egle nun erfährt nicht nur ständig und überall diesen Aufstand der Dinge, sie selbst ist es vielmehr, die gezielt diese Aufstände mutwillig anzettelt, um anhand ihrer Bildarbeiten und der prozesshaft angelegten Ordnungssysteme mit denjenigen Dingen, mit denen sie befasst ist, in einen ebensolchen Vertrag zu gelangen. Und spätestens beim Rundgang durch ihre aktuelle Ausstellung in der Galerie der Stadt Tuttlingen wird deutlich, dass die Dinge – derart zu einem egl’ischen Eigenleben
aufgestachelt – nun wirklich nicht mehr anders können: sie antworten, und sie antworten vielstimmig und beredt, berichten von sich und auch von allem Anderen, Vorgefundenes und von der Künstlerin Erfundenes lustvoll spielerisch vermengend.
Auf diese Weise entfaltet sich in der Ausstellung vor uns ein privater Dschungel aus Sinn, Sinnen und Bedeutungen. Teils künden Gegenstände, Materialien, Formen, Farben tatsächlich noch von ihrem ursprünglichen Gebrauch, von eigentlichem Zweck und früheren Eigentümern, teils erscheinen sie aber vollständig umfabuliert in eigene Geschichte und Geschichten. Für ihre Folge der Lands-Leute etwa (seit 2002 entstehend) setzt unsere Künstlerin aufwendige quasi wissenschaftliche Recherchemethoden ein.
Anhand von Interviews, Fragebögen und dokumentarischen Sammlungsbefunden entwickelt sie multimediale Objekte als Portraitstudien bestimmter Personen, die sie mehr oder weniger gut kennt. Der Ausstellungsbesucher begegnet so im Obergeschoss einem HNO-Arzt (so schlicht auch der Titel der Arbeit), der unverkennbar mit seinem riesenblauen Nasenrüssel gezeigt ist, welcher wiederum in
eine überdimensionale Ohrmuschel in Form eines alten Ledersessels mündet, darin der heißgeliebte Porsche des Herrn Doktor in grünlamelligen OP-Tüchern eingenistet, die gewissenhafte Pflege sowohl von Auto als auch Patient sorgfältig ausgewogen, im Hintergrund aber ist immerhin das Knarzen eines Computertomografen zu vernehmen und nicht das wohlige Röhren eines unbeseelten Rennwagenmotors.
Weiter systematisierte Sammlungen, die sich ebenfalls auf ganz spezifische Phänomene und Vorlieben, Farben oder Werkstoffe konzentrieren, kennzeichnen dagegen Installationen wie das vielteilige Ensemble Ein Herz aus Gold. Entgegen seiner eigentlichen Benamsung ist es mitnichten aus Edelmetall hergestellt, sondern zieht sich aus frei flottierenden Kombinationen aus Korbgeflechten und Holzelementen bestehend volkreich über die Etagen des Schauraums hinweg. Selbstsinnig gewordene Lieblingsstücke, Fetische, Kultfiguren, vermeintlich altertümliche Gerätschaften scheinen sich hier zu einem geheimnisvollen Universum verbunden zu haben. Wie die Artefakte fremder Kulturen in einem ethnografischen
Museum präsentiert, bleiben wir vor denselben ratlos staunend stehen, um über dieses höchst rätselhafte Völkchen nachzugrübeln, das derlei Dinge in seinem Alltag – und wozu um Himmels Willen! – wohl genutzt hat.
Mit anderen Formen der Alltagsarchäologie ist Susanne Egle auch in ihren breit angelegten fotografischen Werkzyklen befasst. Die einzelnen Abzüge repräsentieren mal das Ding an sich (der olle Kant lässt grüßen), mal bilden sie in schmale Streifen und Stücke geschnitten, vernäht, verwoben, überschliffen – und auf vielerlei andere Weise handwerklich technisch dingdrangsaliert (da kommt die Bildhauerin wieder
zum Vorschein) – den Grundstoff neuer Netzwerke. Komplex verschichtete Net Workings und Jam Sessions in Farbe und Schwarz-Weiss entstehen und sogar plastische Geflechte aus diesem selbsterzeugten Restematerial, die kaum auch nur erahnen lassen, was ihre Ausgangsbasis ursprünglich einmal war (nahsichtiger Rotkohl, Trauben, Kirschen, oder die Jahreszeiten im Wechsel ihres Lichts und ihrer Farben).
Eine abertausende von Fotografien umfassende Serie der passionierten Gärtnerin stellt unter dem Motto Täglich frisch so zum Beispiel das heutzutage grassierende Prinzip des sogenannten Food Porn (zu deutsch in etwa Essens-Porno) vollkommen auf den Kopf. Sie alle, meine Damen und Herren, kennen das Phänomen in Restaurants, wenn eine beeindruckend zubereitete Speise auf den Tisch kommt, und
noch vor dem ersten Bissen die optische Erscheinung vom Gast erst einmal mit dem Smartphone festgehalten und einem weitverbreiteten Verteiler von Familie, Freunden und Bekannten weitergeleitet werden muss. Ob damit ein voyeuristisches Bedürfnis befriedigt werden soll (so von wegen: das Auge isst ja mit – jedenfalls meines) oder schlicht die Häme gegenüber den leider mahlzeitlos Gebliebenen geschürt, muss unklar bleiben. Wenn nun also beim Food Porn völlig außer Acht gerät, wer welche
Lebensmittel und Grundstoffe wie und unter welchem Zeitaufwand verarbeitet hat (man sieht ja nur das fertige Ergebnis und schlingt es schnell in sich hinein), fotografiert Susanne Egle tagein tagaus die Reste einer jeden Mahlzeit – Schalen, Stengel, Kerne, Kaffeekrümel u.a. – in der immergleichen, runden Edelstahlschüssel, und setzt die so entstandenen multiplen Selbstkompositionen von Obstgemüserestegalaxien zu ornamenten Bildteppichen fein säuberlich zusammen.
In dieser ironisch-kritischen, überbordend anspielungsreichen Welt der Dinge und der
Hinterdinge von Susanne Egle mag man denn auch gerne an einen Frühromantiker wie Georg Philipp Friedrich Freiherr von Hardenberg (1772–1801) – besser bekannt unter seinem Schriftstellerpseudonym Novalis – denken, der seine sogenannten Blütenstaub-Fragmente (1798) bekanntermaßen anlauten lässt mit dem berühmten „Wir suchen überall das Unbedingte, und finden immer nur [die] Dinge.“
Seither ist vieles über das Wesen der Dinge (wie der Hinterdinge) nachgedacht und
aufgeschrieben worden. Und selbst Martin Heideggers Fazit klingt noch nach einer
Mischung aus höchstem Philosophenflug, kindlich anarchem Dadaismus und nach
Kurt Schwitters. Unter dem Titel „Das Ding“ hielt Heidegger nämlich am 6. Juni 1950
einen Vortrag in der Bayerischen Akademie der Schönen Künste in München und
sprach bei dieser Gelegenheit fast eine Stunde lang über ein einziges Gefäß, einen
Keramikkrug: "Der Krug west als Ding. Der Krug ist der Krug als ein Ding. Wie aber
west das Ding? Das Ding dingt. Das Dingen versammelt. Es sammelt, das Geviert
ereignend, dessen Weile in ein je Weiliges: in dieses, in jenes Ding." – Dabei ist es
doch offensichtlich genau umgekehrt: Nicht das Dingen versammelt, sondern – wie
bei Susanne Egle bestens zu bemerken – das Sammeln dingt. Susanne Egle dingt die
Dinge, und sie dingt sie wunderbar!
Clemens Ottnad M.A., Kunsthistoriker
Geschäftsführer des Künstlerbundes Baden-Württemberg
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