Dass hinter den Dingen des Alltags – Behind Things – oft genug Merkwürdiges (mehr oder weniger) still verborgen liegt, das wir diesen ach so unscheinbaren und teilweise als völlig nutzlos erachteten Dingen nie im Leben zugetraut hätten, ist eine alt bekannte Tatsache. Schon der berühmt-berüchtigte Philosoph und Schriftsteller Friedrich Theodor Vischer – alias Deutobold Symbolizetti Allegoriowitsch Mystifizinsky – hatte dazu bereits im Jahr 1878 angemerkt: „Von Tagesanbruch bis in die späte Nacht, solang irgendein Mensch um den Weg ist, denkt das Objekt auf Unarten, auf Tücke … So lauert alles Objekt, Bleistift, Feder, Tintenfass, Papier, Zigarre, Glas, Lampe – alles, alles auf den Augenblick, wo man nicht Acht gibt.“
Susanne Egle ließ sich zuerst zur Steinbildhauerin ausbilden, bevor sie an der HBK Kassel und der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe Bildhauerei studierte. Schon während Ihres Studiums erkannte die Künstlerin das ästhetische Potential ihrer unzähligen Fundstücke, die sie in ihrem jeweiligen sozio-kulturellen Umfeld bis heute entdeckt. Meist handelt es sich hierbei um „Trophäen des Alltags“, Gegenstände unterschiedlichster Beschaffenheit, die Susanne Egle mit unerschöpflichem Erfindungsgeist in neue Sinnzusammenhänge transferiert.
Behind Things
Galerie der Stadt Tuttlingen 29.07. – 10.09.2017
Dass hinter den Dingen des Alltags – Behind Things – oft genug Merkwürdiges (mehr oder weniger) still verborgen liegt, das wir diesen ach so unscheinbaren und teilweise als völlig nutzlos erachteten Dingen nie im Leben zugetraut hätten, ist eine alt bekannte Tatsache. Schon der berühmt-berüchtigte Philosoph und Schriftsteller Friedrich Theodor Vischer – alias Deutobold Symbolizetti Allegoriowitsch Mystifizinsky – hatte dazu bereits im Jahr 1878 angemerkt: „Von Tagesanbruch bis in die späte Nacht, solang irgendein Mensch um den Weg ist, denkt das Objekt auf Unarten, auf Tücke … So lauert alles Objekt, Bleistift, Feder, Tintenfass, Papier, Zigarre, Glas, Lampe – alles, alles auf den Augenblick, wo man nicht Acht gibt.“
Dieses so eigenmächtig Aufständische, dass sich nämlich die nützlichen, vertrauten Dinge des Alltags plötzlich lebendig und zugleich bedrohlich gegen den Menschen erhöben, beflügelt seitdem die Phantasien unzähliger Forscher auf der ganzen Welt und fand seine literarische Vollendung schließlich in dem im Jahr 1973 erschienenen Roman Aufstand der Dinge von Erhart (wohlgemerkt nicht: Erich) Kästner, in der darin forcierten Bemühung des Autoren „mit den Dingen in einen Vertrag zu
gelangen. Dann können die Dinge nicht anders, sie müssen antworten.“
Susanne Egle nun erfährt nicht nur ständig und überall diesen Aufstand der Dinge, sie selbst ist es vielmehr, die gezielt diese Aufstände mutwillig anzettelt, um anhand ihrer Bildarbeiten und der prozesshaft angelegten Ordnungssysteme mit denjenigen Dingen, mit denen sie befasst ist, in einen ebensolchen Vertrag zu gelangen. Und spätestens beim Rundgang durch ihre aktuelle Ausstellung in der Galerie der Stadt Tuttlingen wird deutlich, dass die Dinge – derart zu einem egl’ischen Eigenleben
aufgestachelt – nun wirklich nicht mehr anders können: sie antworten, und sie antworten vielstimmig und beredt, berichten von sich und auch von allem Anderen, Vorgefundenes und von der Künstlerin Erfundenes lustvoll spielerisch vermengend.
Auf diese Weise entfaltet sich in der Ausstellung vor uns ein privater Dschungel aus Sinn, Sinnen und Bedeutungen. Teils künden Gegenstände, Materialien, Formen, Farben tatsächlich noch von ihrem ursprünglichen Gebrauch, von eigentlichem Zweck und früheren Eigentümern, teils erscheinen sie aber vollständig umfabuliert in eigene Geschichte und Geschichten. Für ihre Folge der Lands-Leute etwa (seit 2002 entstehend) setzt unsere Künstlerin aufwendige quasi wissenschaftliche Recherchemethoden ein.
Anhand von Interviews, Fragebögen und dokumentarischen Sammlungsbefunden entwickelt sie multimediale Objekte als Portraitstudien bestimmter Personen, die sie mehr oder weniger gut kennt. Der Ausstellungsbesucher begegnet so im Obergeschoss einem HNO-Arzt (so schlicht auch der Titel der Arbeit), der unverkennbar mit seinem riesenblauen Nasenrüssel gezeigt ist, welcher wiederum in
eine überdimensionale Ohrmuschel in Form eines alten Ledersessels mündet, darin der heißgeliebte Porsche des Herrn Doktor in grünlamelligen OP-Tüchern eingenistet, die gewissenhafte Pflege sowohl von Auto als auch Patient sorgfältig ausgewogen, im Hintergrund aber ist immerhin das Knarzen eines Computertomografen zu vernehmen und nicht das wohlige Röhren eines unbeseelten Rennwagenmotors.
Weiter systematisierte Sammlungen, die sich ebenfalls auf ganz spezifische Phänomene und Vorlieben, Farben oder Werkstoffe konzentrieren, kennzeichnen dagegen Installationen wie das vielteilige Ensemble Ein Herz aus Gold. Entgegen seiner eigentlichen Benamsung ist es mitnichten aus Edelmetall hergestellt, sondern zieht sich aus frei flottierenden Kombinationen aus Korbgeflechten und Holzelementen bestehend volkreich über die Etagen des Schauraums hinweg. Selbstsinnig gewordene Lieblingsstücke, Fetische, Kultfiguren, vermeintlich altertümliche Gerätschaften scheinen sich hier zu einem geheimnisvollen Universum verbunden zu haben. Wie die Artefakte fremder Kulturen in einem ethnografischen
Museum präsentiert, bleiben wir vor denselben ratlos staunend stehen, um über dieses höchst rätselhafte Völkchen nachzugrübeln, das derlei Dinge in seinem Alltag – und wozu um Himmels Willen! – wohl genutzt hat.
Mit anderen Formen der Alltagsarchäologie ist Susanne Egle auch in ihren breit angelegten fotografischen Werkzyklen befasst. Die einzelnen Abzüge repräsentieren mal das Ding an sich (der olle Kant lässt grüßen), mal bilden sie in schmale Streifen und Stücke geschnitten, vernäht, verwoben, überschliffen – und auf vielerlei andere Weise handwerklich technisch dingdrangsaliert (da kommt die Bildhauerin wieder
zum Vorschein) – den Grundstoff neuer Netzwerke. Komplex verschichtete Net Workings und Jam Sessions in Farbe und Schwarz-Weiss entstehen und sogar plastische Geflechte aus diesem selbsterzeugten Restematerial, die kaum auch nur erahnen lassen, was ihre Ausgangsbasis ursprünglich einmal war (nahsichtiger Rotkohl, Trauben, Kirschen, oder die Jahreszeiten im Wechsel ihres Lichts und ihrer Farben).
Eine abertausende von Fotografien umfassende Serie der passionierten Gärtnerin stellt unter dem Motto Täglich frisch so zum Beispiel das heutzutage grassierende Prinzip des sogenannten Food Porn (zu deutsch in etwa Essens-Porno) vollkommen auf den Kopf. Sie alle, meine Damen und Herren, kennen das Phänomen in Restaurants, wenn eine beeindruckend zubereitete Speise auf den Tisch kommt, und
noch vor dem ersten Bissen die optische Erscheinung vom Gast erst einmal mit dem Smartphone festgehalten und einem weitverbreiteten Verteiler von Familie, Freunden und Bekannten weitergeleitet werden muss. Ob damit ein voyeuristisches Bedürfnis befriedigt werden soll (so von wegen: das Auge isst ja mit – jedenfalls meines) oder schlicht die Häme gegenüber den leider mahlzeitlos Gebliebenen geschürt, muss unklar bleiben. Wenn nun also beim Food Porn völlig außer Acht gerät, wer welche
Lebensmittel und Grundstoffe wie und unter welchem Zeitaufwand verarbeitet hat (man sieht ja nur das fertige Ergebnis und schlingt es schnell in sich hinein), fotografiert Susanne Egle tagein tagaus die Reste einer jeden Mahlzeit – Schalen, Stengel, Kerne, Kaffeekrümel u.a. – in der immergleichen, runden Edelstahlschüssel, und setzt die so entstandenen multiplen Selbstkompositionen von Obstgemüserestegalaxien zu ornamenten Bildteppichen fein säuberlich zusammen.
In dieser ironisch-kritischen, überbordend anspielungsreichen Welt der Dinge und der Hinterdinge von Susanne Egle mag man denn auch gerne an einen Frühromantiker wie Georg Philipp Friedrich Freiherr von Hardenberg (1772–1801) – besser bekannt unter seinem Schriftstellerpseudonym Novalis – denken, der seine sogenannten Blütenstaub-Fragmente (1798) bekanntermaßen anlauten lässt mit dem berühmten „Wir suchen überall das Unbedingte, und finden immer nur [die] Dinge.“
Seither ist vieles über das Wesen der Dinge (wie der Hinterdinge) nachgedacht und aufgeschrieben worden. Und selbst Martin Heideggers Fazit klingt noch nach einer Mischung aus höchstem Philosophenflug, kindlich anarchem Dadaismus und nach Kurt Schwitters. Unter dem Titel „Das Ding“ hielt Heidegger nämlich am 6. Juni 1950 einen Vortrag in der Bayerischen Akademie der Schönen Künste in München und sprach bei dieser Gelegenheit fast eine Stunde lang über ein einziges Gefäß, einen Keramikkrug: „Der Krug west als Ding. Der Krug ist der Krug als ein Ding. Wie aber west das Ding? Das Ding dingt. Das Dingen versammelt. Es sammelt, das Geviert ereignend, dessen Weile in ein je Weiliges: in dieses, in jenes Ding.“ – Dabei ist es doch offensichtlich genau umgekehrt: Nicht das Dingen versammelt, sondern – wie bei Susanne Egle bestens zu bemerken – das Sammeln dingt. Susanne Egle dingt die Dinge, und sie dingt sie wunderbar!
Clemens Ottnad M.A., Kunsthistoriker, Geschäftsführer des Künstlerbundes Baden-Württemberg
SUSANNE EGLE HIMMEL – AUF ERDEN
KUNST AUF DER BUNDESGARTENSCHAU HEILBRONN 2019
In der Installation HIMMEL AUF ERDEN scheinen 12 Himmelkissen in loser Anordnung übereinen Teil des Standortes Hafenpark zu schweben. „Auf Wolken gebettet“ lässt der Besuchervon hier aus seine Blicke und Gedanken in alle „Himmelsrichtungen“ schweifen. Durch dieTransformation Himmel auf Erde wird der gesamte Kosmos erfasst. Ein gigantischer Raum, indem wir uns alle bewegen und der uns in Zukunft wieder etwas bewusster werden sollte. Damitdas „Himmlische auf Erden“ nicht verloren geht.
Curriculum Vitae
Born in Stuttgart, Germany
1978-1982 Stone-Sculptor-Apprenticeship
1982-1984 State Academy of Fine Arts, Kassel, Germany
1984-1990 State Academy of Fine Arts, Karlsruhe, Germany, Meisterschueler
Awards and Scholarships
1986 Award of the Academy of fine Arts, Karlsruhe
1987 Workshop with Anthony Caro, Kunstfonds Philipp Morris, Berlin
1990 DAAD – scholarship, London
Award of the Academy of fine Arts, Karlsruhe
2002 Working scholarship, Ministry for Culture, Rhineland-Palatinate
2004 Cité internationale des Arts Paris, scholarship of the Ministry for Culture
Exhibitions
Solo Exhibitions (Selection)
2017
Behind Things, Galerie der Stadt Tuttlingen
2016
Look Closer, Galerie Grandel, Mannheim
2015
Pivate Jungle, Gallery Artpark, Karlsruhe
2014
Lands-Leute, the project, Staedtische Galerie Villa Streccius, Landau
International Art Fairs
Art Karlsruhe, Germany, Gallery Artpark Karlsruhe
Artshow Busan, Korea, Gallery Artpark Karlsruhe
Kiaf Seoul, Korea, Gallery Artpark Karlsruhe
Colletctions
Städtische Galerie Karlsruhe
Städtische Sammlung Tuttlingen
Regierungspräsidium Karlsruhe
Regierungspräsidium Stuttgart
Badenwerk Karlsruhe
Sammlung Westermann Rastatt
Sammlung Lütze Stuttgart
Stadt Karlsruhe
Marburger Kunstverein
Stadt Landau
Ministry for Culture, Rhineland-Palatinate
Ministry for Culture, Baden-Wuerttemberg
Kunstforum Schwäbisch Hall
Ratiopharm Germany
Landeskunstsammlung, Rhineland-Palatinate
Sammlung Würth, Künzelsau